Meldungen des Jahres 2018

Meldung vom 07. März 2018

"Die Todesliste wird immer länger!" Informationsveranstaltung über Doping in der DDR und die Folgen bis heute mit Thomas Purschke und Ines Geipel

Am 6. März fand in der Jenaer Ernst-Abbe-Bücherei ein sehr gut besuchter Informationsabend zum Thema "Doping in der DDR" statt. In der vom Thüringer Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Christian Dietrich, moderierten Veranstaltung sprachen der Investigativjourmalist Thomas Purschke sowie Ines Geipel in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Berliner Doping-Opfer-Hilfe e.V. Im Verlauf des Abends wurde deutlich, wie gering das öffentliche Bewusstsein und Wissen um die vielfältigen Wirkungen und Folgen des DDR-Dopingsystems (auch in Jena ausgebildet) weiterhin ist. Auch aus der universitären Forschung kämen nach vielversprechenden Ansätzen bis um das Jahr 2000 kaum noch Impulse, bedauerte Purschke, dazu kommt die häufige Plattitüde: "Gedopt wurde doch überall, auch im Westen". Relativierungen ("Oral-Turinabol war doch nur ein Medikament") und schiefe Vergleiche ("Doping war eine Notwendigkeit im Kalten Krieges") entkräftete die anschließende Diskussion, weil immer wieder offenkundig wurde, wie systematisch, skupellos und kriminell das Staatsdoping in der DDR organisiert war. Dass das Thema nicht erledigt ist, schilderte Ines Geipel an der konstant hohen Zahl an Erstmeldungen von Opfern, mittlerweile auch von deren Kinder, die durch transgenerationale Weitergabe von Folgeschäden betroffen sind. Warum viele Ex-Athleten erst nach Jahrzehnten sprechen können und sich melden, hat viele Ursachen – oft spielt Scham eine Rolle oder die tragische Sportlerfrage: Was war eigentlich mein Erfolg und was basierte auf Doping?

Thomas Purschke, dessen zahlreiche Artikel in der "Gerbergasse 18" wiederholt und früh auf die DDR-Dopingstrukturen aufmerksam machen, kritisierte die anhaltend mangelnde Bereitschaft, über die mit Doping erreichte Medaillenflut, insbesondere in Jena, öffentlich und transparent zu sprechen. Sowohl strukturell (durch Verantwortliche im Landessportbund) als auch auf Seiten damaliger Sportler*innen (etwa Heike Drechlser oder Marlies Göhr) dominiert eine Mischung aus Schweigen, Desinterese oder lapidaren Auskünften, denn "es war halt damals so". Wer heute noch so tut, als ob die früheren Erfolge nichts mit dem DDR-Sportsystem zu tun hätten, der vermittelt die Mentalität von einst in die jungen Köpfe der Gegenwart. Dass solche DDR-Rekorde, die beeindruckend auf junge Sportler*innen wirken müssen, mit fairen Mitteln kaum zu erreichen sind und dennoch zum Vorbild für jungen Sportgymnasiast*innen in Thüringen dienen, bleibt unverständlich.

Am Ende der Veranstaltung meldeten sich zwei Frauen - ehemalige Leichtathletinnen - zu Wort, die sich wünschten und dazu aufriefen, dass sich Betroffene und vom DDR-Doping Geschädigte selbst melden und sprechen sollen, auch wenn es viel Kraft und Überwindung kostet. Vor allem für sie war die Veranstaltung gedacht, an die sich am Folgetag eine umfassende Beratung durch den Doping-Opfer-Hilfe e.V. anschloss.

Auch die "Gerbergasse 18" wird das Thema weiter kritisch begleiten, zum Beispiel im zweiten Hefte des Jahres (Heft 87) mit einem Schwerpunkt zu den "Sportsystemen".

 
 
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