Meldungen des Jahres 2016

Meldung vom 01. August 2016

Einblick in das Zuchthaus Waldheim: Dr. Rüdiger Grunow liest aus seinem Roman „Der lange Schatten“

„Meinen Frieden mit der DDR habe ich gemacht, ja, aber vergessen habe ich nichts!“ So eröffnete Dr. Rüdiger Grunow seine Lesung aus dem Roman „Der lange Schatten“ am 28. Juli 2016 in der Jenaer Rathausdiele. Grunow, bekannt in Jena als Kabarettist und Autor, knüpfte mit seiner Aussage direkt an die Worte seines Freundes und Weggefährten Manfred Wagner an. Dessen letzte Worte an seine Freunde waren: „Kämpft gegen das Vergessen an!“ Die Lesung war ihm anlässlich seines fünften Todestages gewidmet.

Der Auftakt der Lesung fand jedoch an einem anderen Ort statt: Familienangehörige, Freunde und Bekannte Wagners versammelten sich am Denkmal für die SED-Opfer in der ehemaligen Gerbergasse. Dort hielt Pfarrer Gotthard Lemke, ein langjähriger Freund, den Nachruf auf Wagner. „Manfred war eine der wichtigsten Personen für die DDR-Aufarbeitung“, erinnerte sich Lemke. „Ihm gebührt besondere Ehre, da er das verschwiegene Thema ‚Zwangsaussiedlungen in der DDR‘ energisch aufgearbeitet hat und Geschädigten unterstützend zur Seite stand.“ Wagner begründete zudem den Verein Geschichtswerkstatt Jena im Jahr 1995 mit und engagierte sich bis zu seinem Tod für die Zeitschrift „Gerbergasse 18“. Und wie Grunow war er im Zuchthaus Waldheim inhaftiert.

Diese prägende Erfahrung schildert Grunow in seinem Buch „Der lange Schatten“ – Einzelhaft, Zwangsarbeit und ideologische Umerziehung. Zwar sind viele Elemente des Romans autobiografisch eingefärbt, jedoch betonte Grunow, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt. Sie erzählt von fünf Freunden, die gegen die DDR-Unfreiheit vorgingen und dafür hohe Haftstrafen erdulden mussten. Angereichert mit historischen Fakten ermöglichte Grunow eine Rückschau auf die Schattenseiten der DDR. So wurde seine Stimme brüchig, als er von den jungen Gefangenen im Zuchthaus oder seiner Freilassung sprach. Im Nachhinein resümierte er den Moment der Entlassung aus dem Zuchthaus: „War ich nun wirklich frei?“ An dieser Frage zeigte sich, dass die Romangeschichte und Person Grunow kaum trennbar sind.

Eine Lebensgeschichte, die die gut 80 Anwesenden über die Lesung hinaus beschäftigte. Viele kauften Grunows Roman, viele ließen ihn signieren. In der abschließenden Diskussionsrunde fanden einige Anknüpfungspunkte an ihre eigene Biografie, so wie Karl-Heinz Jagusch oder Peter Herrmann. Letzterer berichtete von seiner Zeit in der oppositionellen Jugendgruppe „Eisenberger Kreis“. Was diese Geschichten verbindet? Auch Herrmann wurde ins Zuchthaus gesperrt. Das sind Erinnerungen, die nicht schweigen und Schicksale miteinander verbinden – an diesem Abend, neben anderen, Grunow und Herrmann.

Text/Fotos: Martin Skurt

 
 
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